Rolf Schneider:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, werte Kolleginnen und Kollegen, sehr gehrte Damen und Herren der Verwaltung,
der Haushalt für das Jahr 2021 inklusive der mittelfristigen Finanzplanung für die nächsten Jahre liegt vor uns, gefüttert mit realen Fakten und nicht mit unbedingt guten Aussichten für die Zukunft.
Nichtsdestotrotz brauchen wir tragfähige Visionen und Ziele, auf die wir hinarbeiten können. Wir müssen wieder nachdenken, reden, argumentieren, Erkenntnisse teilen und andere in den Stand setzen, dass auch sie nachdenken, reden und argumentieren wollen.
Wie heißt es in einem wunderschönen Buch von Martin Roth, dem Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart mit dem Titel: Widerrede – einer Familie diskutiert über Populismus, Werte und politisches Engagement: „Die Jüngeren müssen sich engagieren, damit die ältere Generation die Zukunft nicht ruiniert“ und weiter „von daher liegt es doch an der jungen Generation, absolute Grundsatzfragen zu stellen: haben wir die richtige Wirtschaftsform, oder gibt es Alternativen? Kann man Klimaschutz neu denken? Lässt sich unsere Demokratieform grundlegend verbessern?“
Aus diesem Grunde haben wir uns entschieden, dass für unsere Fraktion Lara Barnic und Björn Maier die Haushaltsrede halten.
Lara Barnic:
Die Klimakrise ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Und ich sage bewusst Klimakrise und nicht -wandel. Denn es handelt sich dabei um eine akute Gefahr für die menschliche Zivilisation und nicht um eine diffuse Bedrohung, auch in Deutschland. Plötzlich gibt es hier Malaria-Mücken, einheimische Vegetation und Tierarten sterben aus, der Meeresspiegel steigt. Bis zum Jahr 2050 könnte es über 140 Millionen Klimaflüchtlinge aufgrund von Wetterextremen und Dürren geben. Und das sind nur ein paar der Folgen, die uns drohen.
Das Thema ist uns heute bewusster denn je und auch die Gerlinger*innen haben dies begriffen. So ging aus der ISEK-Bürgerbefragung der Wunsch hervor, dass Gerlingen bis 2030 zur Umwelt- und Klimastadt entwickelt werden soll! Es gibt kaum ein so sinnvolles Investment, wie das in eine nachhaltige Zukunft. Und die langfristige Entwicklung unserer Stadt dürfen wir über dem jährlich neu zu erstellendem Haushaltsplan nicht vergessen. Aber was kann ein Haushalt in finanziell schwierigen Zeiten leisten?
Auch wenn das Geld im städtischen Haushalt knapp ist, stehen wir als Stadtverwaltung und Gemeinderat in der Verantwortung, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Klimakrise abzumildern. Dabei müssen wir auch Maßnahmen erarbeiten, die wenig kosten und Klimaschutz bei jeder Abstimmung mitdenken.
Laut den Angaben der befragten Eigentümer ist nur die Hälfte der Wohngebäude energetisch saniert. Das Potenzial energetischer Sanierungen als Maßnahme gegen den Klimawandel wird in Gerlingen nicht genug wahrgenommen (Vgl. BB. S. 29). Die Stadt kann energetische Sanierungen fördern: Das geht finanziell und durch gezielte Beratung und Informationskampagnen auch darüber, wie viele Energiekosten man durch solch eine Sanierung sparen kann. Dabei kann man zukünftig an die Energiesprechstunde des Arbeitskreises Energie der lokalen Agenda 21 Gerlingen anknüpfen. Ein Beitritt zur Ludwigsburger Energieagentur (LEA) ist aus unserer Sicht dabei der nächste Schritt. Unsere Stadt muss Bürger*innen ermutigen und dabei unterstützen, ihr Wohneigentum und ihren Lebensstil klimafreundlicher zu gestalten.Zusätzlich müssen wir energetische Richtlinien im Bebauungsplan für das Neubaugebiet Bruhweg II verankern, welche zukünftigen Nachhaltigkeitsanforderungen entsprechen: Stichwort Plusenergie-Haus, klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen.
Um die zahlreichen Möglichkeiten, dem Klimawandel auf kommunaler Ebene entgegenzuwirken umsetzen zu können, ist es richtig und wichtig, dass wir Anfang April eine Klimaschutzmanagerin in Gerlingen einstellten! Wir freuen uns darauf, dass es in Sachen kommunaler Klimaschutz vorangeht.
Und auch in sozialen Themen wollen wir uns als Kommune 2021 stark machen: Zum einen begrüßen wir es sehr, dass unser Antrag zum Beitritt der Stadt an der Kampagne Fairtrade-Towns letztes Jahr beschlossen wurde. Wir werden uns weiterhin für das Thema Fairtrade stark machen. Weiterhin sollten die Stadtverwaltung und der Gemeinderat zukünftig bei Entscheidungen Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie zu Rate ziehen, um Maßnahmen in Bezug auf Nachhaltigkeit und soziale Verträglichkeit zu überprüfen. Dies fordern wir in unserem Antrag zum Thema nachhaltige Beschaffung, dessen Bearbeitung noch aussteht.
Zusätzlich müssen Kinderbetreuungsgebühren für alle bezahlbar bleiben, denn wir wollen in Gerlingen auch die mitdenken, die keine Spitzenverdiener sind. Jedes Kind muss Zugang zu frühkindlicher Bildung zuteilwerden, unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern. Deshalb fordern wir ein einkommensgestaffeltes Gebührenerhebungssystem. Nach dem Vorbild anderer Kommunen kann ein solches System digital verwaltet werden. In diesem Sinne unterstützen wir ausdrücklich die Einführung digitaler Lösungen in der Verwaltung und sind gespannt auf die digitale Ratsarbeit mit Tablets.
Björn Maier:
Durch die Coronakrise hat Gerlingen große Schritte in Sachen Digitalisierung gemacht. Dazu zählt neben der anlaufenden Digitalisierung des Rathauses auch die Ausstattung, die den Gerlinger Schulen zugutegekommen sind. Wir hoffen, dass mit der Erstellung der Medienentwicklungspläne hier weitere Fördermittel seitens der Stadt mobilisiert werden, um die Gerlinger Schulen digital weiter aufzurüsten. Ebenso wünschen wir uns, dass die Verwaltung das enorme Potential, dass in der Digitalisierung steckt, weiter erschließen wird, um unnötige Arbeitsabläufe zu ersparen.
Für die Jugendlichen freut es uns sehr, dass der Sportpark im Breitwiesen bald fertiggestellt sein wird. Der neue Kunstrasen wird es den Schulen und dem Fußballverein ermöglichen, je nach Pandemielage dort trainieren zu können. Auf unsere Initiative hin wurde dafür gesorgt, dass auch Sportler*innen, die nicht im Verein sind, den Platz je nach Belegung buchen können. Für die weggefallenen roten Plätze im Sportpark Breitwiesen wünschen wir uns einen roten Platz und ein Kunstrasenspielfeld an anderer Stelle. Diese sollen der Öffentlichkeit frei zur Verfügung stehen. Auch trotz steigender Hallengebühren muss es für Abschlussjahrgänge weiterhin möglich sein, ihre Schulabschlüsse in der Stadthalle feiern zu können. Wir wollen zudem dafür sorgen, dass das Bauprojekt ´Aufenthaltsort für Jugendliche´ attraktiv wird.
Im Bereich Mobilität, der im ISEK-Stadtentwicklungskonzept ein Schwerpunkt ist, freuen wir uns, dass ein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben wurde, welches wir kritisch konstruktiv begleiten wollen. Großes Ziel des Verkehrsgutachtens muss es sein, dass der Fahrrad- und Fußverkehr in Gerlingen attraktiver wird. Nur so kann man in unseren Augen den Autoverkehr reduzieren. Wir erhoffen uns eine Neuordnung der Hauptfahrrads- und Fußverkehrsachsen, die parallel zu den Autoverkehrsachsen verlaufen sollen. Wir freuen uns in dem Zusammenhang, dass unser Vorschlag, den Radweg nach Ditzingen zu reparieren, bald umgesetzt werden soll. Momentan ist das Fahrradfahren an einigen Stellen gefährlich, wie beispielsweise in der Hasenbergstraße zu Zeiten des Schulverkehrs. Um gute, schnelle und sichere Radverkehrsachsen gestalten zu können, müssen an Stellen wie der besagten die Parkplatzsituation und die beidseitige Befahrbarkeit dieser Straßen überdacht werden. Wir Gerlinger*innen sollten häufiger das Auto stehen lassen, um den Autoverkehr in Gerlingen zu reduzieren. Ebenso wird über ein Parkleitsystem und über Parkraummanagement zu reden sein, damit mehr in den Garagen und Tiefgaragen und weniger auf der Straße geparkt wird. Auch bedarf es verstärkter Parkkontrollen, da häufig verbotenerweise auf Fahrradwegen geparkt wird. Eine Reduzierung des Autoverkehrs erhöht auch die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt, da die damit einhergehende Lärm- und Geruchsbelästigung zurückgeht. Um den Fußverkehr attraktiver zu machen, braucht es mehrere Querungsmöglichkeiten auf langen Straßen, wie der Ditzinger Straße. Hierzu haben wir einige Vorschläge eingebracht und hoffen, dass diese im Verkehrsgutachten berücksichtigt werden.
Neben dem Bereich Verkehr wird uns das Thema Bauen und Wohnen 2021 und in den folgenden Jahren stark beschäftigen. Neben ökologischen Kriterien im neuen Baugebiet Bruhweg II muss auch der soziale Aspekt des Wohnens in den Fokus gerückt werden. Mit unserem Antrag auf eine grundsätzliche Diskussion zum Thema Wohnen und Bauen haben wir einen Grundstein für die Gemeinderatsklausur im Herbst gelegt. Aus unserer Sicht muss dabei insbesondere bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Dafür wollen wir zielführende Auflagen, die einen Mindestsatz an bezahlbarem Wohnraum festschreiben. Um mehr Wohnraum zu schaffen, sollten wir die Bevorzugung von Mehrfamilienhäusern diskutieren, um viel Wohnraum bei einer möglichst geringen Versiegelung von Flächen zu schaffen. Insgesamt wünschen wir uns, dass das Baugebiet Bruhweg II ein Vorzeigebaugebiet wird. Modern im Design, effizient in der Flächennutzung, den ökologischen Standards der Zukunft entsprechend und mit möglichst viel bezahlbarem Wohnraum.
Und auch ein letztes Thema müssen wir ansprechen, die Situation von Geflüchteten. Auch in finanziell schwierigen Zeiten soll sich Gerlingen für geflüchtete Menschen und deren Integration einsetzen. Wir hoffen sehr, dass wir als Kommune dem Bündnis Sichere Häfen bald beitreten und somit ein Zeichen setzen, dass in Zeiten von Corona Menschen, die vor Krieg-, Hunger- und Menschenrechtsverletzungen fliehen, nicht vergessen werden. Wir alle haben diesen Winter gesehen, wie Menschen bei den Temperaturen in völlig überfüllten Flüchtlingslagern, ohne Heizung und mit kaum Wasser und Essen, überleben mussten. Wir als Stadt können die Gesamtsituation nicht lösen, aber wir können uns dafür einsetzen, dass Europa die Menschenrechte wieder wahrt. Und sei es nur dadurch, dass wir uns bereit erklären, ein paar Geflüchtete Menschen in unserer Stadt aufzunehmen.
Was muss nun also ein guter Haushalt in Zeiten knapper Finanzen leisten?
Auf der einen Seite muss gespart werden, dies ist unausweichlich. Wir freuen uns, wenn damit im gleichen Rahmen ökologischer gehandelt werden kann. So ist eine ökologische Bepflanzung des Straßenbegleitgrüns ein toller Anfang. Aber es werden uns auch weiterhin schmerzhafte Entscheidungen bevorstehen. Wir werden bei allen Sparmaßnahmen jedoch auf die soziale Ausgewogenheit achten. Dies bedeutet, wie eingangs angesprochen, dass die Gebühren für die Kinderbetreuung nicht ins uferlose steigern dürfen und bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden muss. Ebenso bedeutet das, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass wir Menschen, denen es weit schlechter als uns Europäern geht, unsere Hilfe im Rahmen unserer Möglichkeit anbieten. Das gebietet in unseren Augen die pure Menschlichkeit.
Den Fehler, den wir keineswegs machen dürfen, ist notwendige Investitionen zu verschleppen. Jede Investition in den Klimaschutz zahlt sich aus, jede Investition in die Jugend und Digitalisierung zahlt sich aus. Wir müssen die Stadt auch in Zukunft handlungsfähig halten. Dies muss immer kontrovers bei den notwendigen Sparmaßnahmen diskutiert werden.
Wie Sie, Herr Östringer, gesagt haben: Die See ist rau und das Wetter stürmisch. Also lassen Sie uns gemeinsam die Segel richtig setzen und Kurs auf eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Stadt nehmen. Herr Östringer, Herr Altenberger, Herr Kern, liebe Amtsleiter*innen und Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, vielen Dank für die Erarbeitung des Haushaltsentwurfs 2021, dem wir hiermit, mit Verweis auf unsere oben angebrachten Punkte, zustimmen.
Fraktion Bündnis90/Die Grünen
Ulrike Stegmaier Björn Maier Lara Barnic Rolf Schneider