Wie ist der aktuelle Stand bei der Kostenentwicklung für Stuttgart 21?
Am 12. Dezember 2012 hat die DB AG erstmals offiziell darüber informiert, dass die Kosten für Stuttgart 21 deutlich höher sind, als bisher festgestellt. Zusätzlich zu den gut 4,5 Mrd. Euro, die zuvor angesetzt worden waren, kommen 1,1 Mrd. Euro Mehrkosten, die sich
- aus zu niedrigen Kostenansätzen,
- aus bisher nicht berücksichtigten Massenmehrungen oder Projektbestandteilen, die sich aus unvollständigen Planungen begründen, und
- aus nicht realisierbaren, bisher angenommenen Einsparpotenzialen ergeben.
Darüber hinaus hat die Deutsche Bahn noch 1,2 Mrd. Euro für weitere Risiken vorgesehen. Im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages hat das verantwortliche Vorstandsmitglied Dr. Kefer am 27.02.2013 eingeräumt, dass zusätzliche Kostensteigerungen insbesondere durch geologische Risiken beim Tunnelbau im weiteren Projektverlauf nicht auszuschließen sind.
In die ermittelten Mehrkosten rechnet die DB AG auch rund 300 Mio. Euro Mehrkosten aus Schlichtung und Filderdialog mit ein. Die Landtagsfraktion der Grünen sieht hier aber die Bahn als Vorhabenträgerin weitestgehend selbst in der Pflicht. Ein funktionierendes Brandschutzkonzept beispielsweise ist Voraussetzung für eine Genehmigung und somit nicht im Verantwortungsbereich der anderen Projektpartner zu sehen. Dies gilt noch stärker beim Filderbahnhof. Solange für die Antragsvariante der DB AG keine genehmigungsfähige Planung vorgelegt wird, solange können auch keine tragfähigen Mehrkosten einer alternativen Variante ermittelt werden.
Wer wird die ermittelten Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 übernehmen?
Für das Land steht fest: Über die vereinbarten 930,6 Mio. Euro wird es keine weitere finanzielle Beteiligung geben. Hierzu gibt es einen eindeutigen Kabinettsbeschluss. Der Koalitionspartner hat dies bei seinem Landesparteitag am 2. März 2013 bestätigt. Der Vorstand der DB AG hat dem Aufsichtsrat für seine Sitzung am 5. März 2013 vorgeschlagen, mit 2 Mrd. Euro in Vorleistung zu gehen. Errechnete Mehrkosten aus der Schlichtung und dem Filderdialog in Höhe von rund 300 Mio. Euro sollen dabei vollständig den Projektpartnern angelastet werden. Der Aufsichtsrat hat dem bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung so zugestimmt.
Nach der Erhöhung des Gesamtwertumfangs des Projekts soll anschließend gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden, wie die Projektpartner an den Mehrkosten beteiligt werden können. Alle Projektpartner haben aber bereits erklärt, dass sie keine weiteren Zahlungen leisten werden und können. Die Stadt Stuttgart müsste – durch Gemeinderatsbeschluss festgelegt – einen Bürgerentscheid durchführen. Auch der Bund als Eigentümer der DB AG hat eine Übernahme weiterer Kosten abgelehnt.
Für die Landtagsfraktion der Grünen ist klar, dass der von der Vorgängerregierung bereits festgelegte Kostenanteil in Höhe von rund 930 Mio. Euro eine hohe Belastung für den Landeshaushalt bedeutet. Diese freiwillige Leistung ist mit der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Schuldenbremse nur schwer vereinbar und reduziert die Spielräume an anderer Stelle.
Was bedeuten die Mehrkosten für die Wirtschaftlichkeit des Projekts?
Bereits bei der zuerst zugesagten Übernahme der zusätzlichen 1,1 Mrd. Euro durch die DB AG wäre die Rendite von den angestrebten 7,5 % auf rund 2 % gefallen. Das eigenwirtschaftliche Projekt der DB AG wäre somit bereits weit unwirtschaftlicher gewesen.
Bahnchef Dr. Grube hatte in der Vergangenheit betont, dass Stuttgart 21 bei höheren Kosten als 4,5 Mrd. Euro nicht mehr wirtschaftlich für die Bahn sei. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat betont, dass die Wirtschaftlichkeit des Projektes ein wesentliches Entscheidungskriterium für den Weiterbau ist.
Werden nun 2 Mrd. Euro Mehrkosten von der DB AG getragen, rutscht die Wirtschaftlichkeit ins Negative. Die DB AG rechtfertigt den Weiterbau von Stuttgart 21 daher nur noch damit, dass die Kosten bei einer Fortsetzung des Projekts im Vergleich zum Projektabbruch für die Unternehmensbilanz günstiger ausfallen. Aktuell geht es hierbei nur noch um einen relativ geringen Differenzbetrag. Bei den Unsicherheiten und der Dimension des Projektes ist es daher wahrscheinlich, dass dieser Betrag schnell erreicht sein wird.
Nach Ansicht der Landtagsfraktion der Grünen ist dieser Betrag sogar bereits erreicht, da die Schlichtungskosten von der DB AG bisher ausgeklammert werden. Wie aber oben dargestellt beinhalten sie Punkte, die in jedem Fall gewährleistet sein müssen, damit eine genehmigungsfähige Planung vorgelegt wird. Dies bedeutet weiterhin, dass das Projekt auch mit dem Beschluss des Aufsichtsrates zur Erhöhung des Finanzierungsrahmens nicht finanziert werden kann. Vor einer Projektfortführung müsste daher von der DB AG die Frage abschließend geklärt werden, wer absehbare weitere Kostensteigerungen übernimmt, damit Stuttgart 21 keine Investitionsruine wird.
Die Landtagsfraktion der Grünen begrüßt es, dass nun der Bundesrechnungshof die Kosten für das Projekt noch einmal genauer untersuchen soll. In einer solchen Sonderprüfung müssten auch die Ausstiegskosten geprüft werden, da sie eine besondere Bedeutung für die Bewertung einer Projektfortführung haben.
In der seiner Sitzung am 5. März 2013 hat der Aufsichtsrat der DB AG entschieden, den Finanzierungsrahmen um 2 Mrd. Euro aufzustocken und mit den Projektpartnern über eine anteilige Kostenübernahme zu verhandeln. Sollten die Verhandlungen scheitern, soll der Vorstand Klage erheben.
Am 7. März hat im Landtag eine Aktuelle Debatte stattgefunden, in der die Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann und der Ministerpräsident Winfried Kretschmann noch einmal sehr deutlich hervorgehoben haben, dass der Kostendeckel für das Land gilt.
Winfried Kretschmann: „Die Mehrkosten, in welcher Höhe auch immer, sind mit der Entscheidung vom Dienstag Angelegenheit der Bahn.“ Deutlich wies er Vorwürfe des Bundesverkehrsminister Ramsauer zurück. Dieser hatte geäußert, dass die Bahn ihre Ticketpreise erhöhen müsste, weil das Land sich nicht an den Mehrkosten beteiligen will.
Und an die Opposition von CDU und FDP gewandt: „Sie aber werden sich entscheiden müssen: Vertreten Sie die Interessen des Landes und unserer Bürger und Steuerzahler oder stellen Sie sich weiterhin auf die Seite von Bahnmanagern und Bund und verlangen Sie von der Landesregierung und den Menschen im Land weitere Kostenbeteiligung in Milliardenhöhe?“
Edith Sitzmann stellte noch einmal die grüne Position zum Filderbahnhof klar und betonte, dass zunächst die DB AG gefordert sei, eine genehmigungsfähige Planung vorzulegen: „Dann wird sich die Koalition mit dieser Frage intensiv beschäftigen und eine Entscheidung treffen.“
Wie beurteilt die Landtagsfraktion die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21?
In der Schlichtung hat Boris Palmer für die Grünen die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 hinterfragt und wichtige Fragen zur Klärung aufgeworfen. Nicht zuletzt deswegen wurde der Stresstest durchgeführt. Auch nach Überprüfung durch das Schweizer Unternehmen SMA bleibt es bei dem offiziellen Ergebnis, dass Stuttgart 21 eine ausreichende Leistungsfähigkeit bescheinigt wird.
Die Landtagsfraktion der Grünen muss sich auf die Aussagen der Fachleute verlassen. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass viel vom Betriebskonzept für den Bahnhof abhängen wird. Hier ist die DB AG gefordert. Der Aufwand für den Betrieb für eine gute Leistungsfähigkeit ist sicher recht hoch, während der Kopfbahnhof schon in der Vergangenheit eine hohe Leistungsfähigkeit nachgewiesen hat.
Das Magazin „Der Stern“ zitiert in seinem Artikel „Ein übles Spiel mit grüner Beteiligung“ aus einem Vermerk der Landesregierung vom 20.05.2011 für die Ministerratssitzung am 24.05.2011 folgende Aussage: „Das Bemessungsprogramm von Stuttgart 21 sieht keinen Leistungszuwachs von 30 Prozent in der Spitzenstunde vor. Dementsprechend ist dies auch weder im Planfeststellungsverfahren noch in den Finanzierungsverträgen vorgesehen.“
Der Stern zieht daraus folgende Schlussfolgerung: „Im Klartext: Der Bahnhof soll gar nicht mehr leisten als der alte Kopfbahnhof, und er wird nicht mehr leisten. Das ist im Plan so vorgesehen. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Bahn ist überhaupt nicht verpflichtet, dass das teure Neue mehr leisten soll als das Alte.“
Der Vermerk wurde vom Stern offensichtlich unrichtig verstanden. Die Schlussfolgerung des Stern ist daher falsch. Den darüber hinaus im Stern erhobenen Vorwurf, man hätte die mangelnde Leistungsfähigkeit schon viel früher gekannt, ist zurückzuweisen: Der im Stern zitierte Vermerk gibt lediglich die Rechtslage wieder.
Richtig ist, dass den Planfeststellungsverfahren und den Finanzierungsverträgen zu Grunde liegende Bemessungsprogramm keine Planung einer Spitzenstunde beinhaltet, sondern ausschließlich die Planung von vertakteten Zugangeboten. In einer Spitzenstunde verkehren darüber hinaus Verdichter- und Verstärkerzüge. Dazu gibt es im Bemessungsprogramm aber keine konkreten Zahlen. Bezogen auf die vertakteten Züge sieht das Bemessungsprogramm eine erheblich höhere Zugzahl (= Leistung) vor als im status quo, nämlich 30 Züge gegenüber 21 Zügen. Insoweit ist eine erhebliche Mehrleistung Grundlage der Planfeststellung und auch vertraglich geschuldet.
Der Fehler, der in diesem Zusammenhang immer wieder unterläuft, ist die Gleichsetzung von vertakteten Zügen mit Spitzenstundenzügen und Leistung mit Leistungsfähigkeit. Die Fragestellung der Leistungsfähigkeit in der Spitzenstunde war zentrales Thema der Auseinandersetzung in der Schlichtung und im anschließenden Stresstest. Im Stresstest ging man bekanntlich von 37 Ankünften in der Spitzenstunde beim bestehenden Kopfbahnhof aus, so dass Stuttgart 21 in der Spitzenstunde 49 Ankünfte leisten musste, um den Stresstest zu bestehen. Zum Zeitpunkt des Vermerks war das Ergebnis des Stresstests aber noch nicht bekannt.
Klar ist: Die Anforderung des Schlichterspruchs (2010) - Leistungszuwachs von 30 Prozent in der Spitzenstunde – ist weder aus dem Planfeststellungsbeschluss (2005) noch aus den Finanzierungsverträgen (2009) ableitbar und daher auch nicht einklagbar. Das alles ist aber keine Neuigkeit, sondern wurde bereits in der Schlichtung und im Stresstest ausführlich diskutiert.
GRÜNE im Landtag, AK Verkehr und Infrastruktur, den 7. März 2013