Umsonst und draußen
Neulich haben wir die schönste Rotkappe ever gefunden. Doch zu spät: Sie lag schon in der Hand anderer Wanderer, sehr bedauerlich! So ein Riesenpilz ergibt ja, verziert mit einigen Nudeln, schon mal ein Abendessen. Es macht Spaß, das Abendessen im Wald zusammenzusuchen. Man kommt in Goldgräberstimmung. Noch nie haben wir ein so tolles Steinpilzjahr erlebt wie heuer! Kann man noch regionaler, saisonaler, gesünder essen? Vorausgesetzt, man kennt sich so gut aus, dass die Gesundheit nach dem Genuss nicht perdu ist. Und wer keine Strafe zahlen will, sollte nicht mehr als ein Kilo pro Kopf sammeln.
Pilze sind faszinierende Wesen! Weder Pflanze noch Tier, bilden sie ein eigenes riesiges Reich. Wir nähern uns diesem Mysterium bedächtig. Nur selten kommt zu Steinpilz, Marone & Co. eine weitere Pilzart hinzu. Wie der Schopftintling, Soprinus comatus. Der Beiname comatus führt in die Irre. Schopftintlinge sind köstlich! Meinem Mann sind sie nicht ganz geheuer, weil sie abscheulich aussehen, wenn sie alt werden. Die jung weißseidigen Pilze zerfließen ganz schnell zu einer tintenartigen Flüssigkeit. Keiner würde sie dann essen! Dabei vermehren sich Schopftintlinge so: Mit jedem Tintentropfen fallen Pilzsporen zu Boden. Was an dieser Pilzart ein bisschen irritiert, ist die Tatsache, dass sie Fadenwürmer erbeutet und verdaut. Sie ist nematophag. Dafür bildet der Pilz Fangorgane aus, die Gift ausscheiden. Das macht Nematoden unbeweglich. Zum Glück hatte ich von den Fadenwürmern erst nach dem Essen erfahren. Wer isst schon gern so was? Dabei ist das doch der ewige Kreislauf des Werdens und Vergehens.
Ich zitiere dazu gekürzt aus Bill Brysons Eine kurze Geschichte von fast allem: „Sie leben. Wenn man darüber nachdenkt, eine ziemlich wunderbare Sache. Damit Sie heute hier sein können, mussten Abertrillionen von herumschwebenden Atomen irgendwie zusammenkommen. Warum Atome das machen, ist ein Rätsel. Es ist keine befriedigende Erfahrung für ein Atom, Sie zu sein. Ein Atom weiß nicht, dass Sie da sind. Es weiß nicht einmal, dass es selbst da ist. Und an den Atomen, die Sie kreieren, ist nichts Besonderes. Wie jedes andere Lebewesen ist der Mensch ein Sortiment von fast peinlich schlichten Komponenten: Ein wenig Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, etwas Kalzium und noch ein paar Spritzer anderer gewöhnlicher Chemikalien. Dasselbe Zeug findet man in jedem Dreckhaufen. Außergewöhnlich an diesen Atomen ist nur, dass sie Sie gemacht haben. Das ist das tatsächliche Wunder des Lebens!“
Barbara Bross-Winkler